Das helle Antlitz des Narzissmus und seine schattigen Tiefen
MENSCHEN MIT DER KRONE BIS ZUM HIMMEL
"Narzisse, die Verzückung der Selbstliebe..."
In letzter Zeit denke ich sehr oft darüber nach, wer überhaupt Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sind, wie man sie behandelt und wie man mit ihnen zusammenleben kann? Das Netzwerk und andere Medienquellen versuchen uns ständig davon zu überzeugen, dass wir uns von Narzissten fernhalten müssen, dass sie "ausgelöscht" werden müssen, wir müssen uns von denen verteidigen oder von ihnen fliehen. Aber nur wenige verstehen, dass diese Menschen mit der "Krone" zutiefst traumatisierte Persönlichkeiten sind. Ihre sogenannte "Krone" dient für sie als eine Art Schutz, der für ihr Überleben notwendig ist... und je höher die "Krone", desto stärker der Abwehrmechanismus. Was wiederum tiefere traumatische Ereignisse in der frühen Kindheit und nachfolgenden Lebenserfahrungen bedeutet. Wie lernt man schließlich, mit einer solchen Person zu leben und zu interagieren? Und muss man das überhaupt lernen? Nach dem Lesen des folgenden Artikels zieht vielleicht jeder für sich selbst bestimmte Schlussfolgerungen. Die Autorin des Artikels - praktizierende Psychotherapeutin, Dr. med. Martha Hüsgen-Adler, - erläutert die Hintergründe des Verhaltens einer narzisstischen Persönlichkeit anhand eines Beispiels aus ihrer eigenen Praxis. Dieser Artikel resoniert sehr mit meinen eigenen Gedanken, meinen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen und lässt mich auch noch tiefer über dieses Thema nachdenken und sogar reflektieren. Der Artikel wurde in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Nachdem ich ihn gelesen hatte, wollte ich es unbedingt mit allen teilen, die sich für das Thema Narzissmus interessieren. Hoffentlich wird dieser Artikel sowohl für diejenigen hilfreich sein, die eine narzisstische Störung haben, als auch für diejenigen, die mit solchen Menschen interagieren. Die Frage ist nur, wird der Narzisst, dessen Typ hier beschrieben wird, die Persönlichkeitszüge, die in diesem Artikel hervorgehoben werden, in sich selbst finden? Und wenn ja, erkennt er sie? Und wenn er sie erkennt, bedeutet dies, dass der Mensch bereits auf dem Weg der Heilung steht oder zumindest seinen Blick in die richtige Richtung gelenkt hat?
Die Autorin des Artikels - praktizierende Psychotherapeutin, Dr. med. Martha Hüsgen-Adler
Das helle Antlitz des Narzissmus und seine schattigen Tiefen
Über die narzisstische Liebe
Eric Berne schreibt: "Liebe bedeutet, das Wohlergehen und das Glück der anderen Person über das eigene Wohlergehen und das eigene Glück zu stellen. Liebe ist die vollständigste und edelste Form der Beziehung und enthält Respekt, Bewunderung, Begeisterung, Freundschaft und Intimität, verbunden mit einem eigenen Charme und einem ganz eigenen Charisma." (Berne 1972, S. 138). Narzissmus bedeutet "Selbstliebe". Eine gesunde Selbstliebe ist Voraussetzung für eine gesunde Liebe zu einem anderen Menschen. Bei der narzisstischen Liebe ist das Bedürfnis nach Bewunderung, Anerkennung und Liebe in krankhafter Weise übersteigert. Das zugrunde liegende Defizit wird in ungenügenden oder unangemessenen frühkindlichen Bindungs- und Beziehungserfahrungen gesehen. Der gesunde "primäre Narzissmus" mit seinem Hunger nach angemessener Spiegelung, die so wichtig ist für die Identitätsbildung, geht über in einen "sekundären Narzissmus". Kennzeichen des "sekundären Narzissmus" ist eine übermäßige Beschäftigung mit dem eigenen Selbst. (Bursten 1996, S. 75). Menschen, mit denen man in Beziehung steht, wird kein eigener Wert zugestanden, sie werden unter dem Aspekt betrachtet, ob und wie sie für das eigene Selbst und die Aufrechterhaltung des narzisstischen Gleichgewichts dienlich sind. Das narzisstische Gleichgewicht bewegt sich zwischen den beiden gegensätzlichen Erlebnisweisen der Minderwertigkeit einerseits und der Omnipotenz oder Grandiosität andererseits, wobei das Erleben der Minderwertigkeit gefürchtet und auf die verschiedenste Art und Weise abgewehrt wird. Das Gefühl der Omnipotenz oder Grandiosität wiederum soll mit allen Mitteln aufrechterhalten werden. Genau zu diesem Zweck wird der passende Mensch - das Objekt - gesucht und gegebenenfalls "geliebt". In jedem Menschen finden sich helle und dunkle Seiten; die hellen zeigen wir gerne, die dunklen versuchen wir nicht wahrzunehmen. Wir verdrängen, verleugnen und bekämpfen sie. Kohut und Wolff (1978) haben typische Formen von (Liebes-)Beziehungen beschrieben, die ich im Folgenden kurz ausführen werde.
Alltägliche narzisstische Liebe
1. Spiegelhungrige Persönlichkeiten
Die spiegelhungrigen Persönlichkeiten sind ständig bemüht, sich darzustellen oder die Bewunderung anderer herauszufordern, um ihrer inneren Überzeugung der Wertlosigkeit entgegenzuwirken. In der Spiegel-Beziehung versucht der Narzisst, das Erleben der Minderwertigkeit dadurch abzuwehren, dass er sich einen Menschen sucht, an den er dieses Erleben "delegieren" kann, der also auch eine gewisse Bereitschaft mitbringt, sich zum "Opfer" machen zu lassen, weil er sich vielleicht immer schon als "nicht okay" erlebt. Von dem so auserkorenen "Opfer" wird dann dankbare Bewunderung, abhängige Liebe und eine ständige Bestätigung der eigenen Güte, Schönheit, Macht etc. erwartet und eingefordert. Das Opfer soll also die hellen Seiten des narzisstischen Menschen immer und immer wieder spiegeln, das ist seine Funktion. Umgekehrt erlebt ein narzisstischer Mensch, der die Rolle des Opfers einnimmt, durch die symbiotische Verschmelzung mit einem grandiosen Du eine Erweiterung seines Ich-Ideals, welches er alleine nicht aufrechtzuerhalten vermag. Dieser Mensch sucht eine Erlösung aus einer kalten, leeren inneren Welt der Minderwertigkeit, und genau dazu soll das idealisierte Du dienen, das ist seine Funktion.
2. Alter-Ego-Persönlichkeiten
Alter-Ego-Persönlichkeiten benötigen eine Beziehung mit jemandem, der den eigenen Werten entspricht und somit auch die Realitäten ihres Selbst unterstützt. In dieser auch Zwillingsbeziehung genannten Konstellation sucht man sich einen begehrenswerten homo- oder heterosexuellen Zwilling. Der eine muss dem Ideal des anderen genügen, darf darin aber nicht besser als dieser sein, denn das würde ihn gefährden, neidisch machen und damit Gefühle der Minderwertigkeit beleben. Jedoch darf der andere auch nicht unterlegen sein, denn das würde auch zur Entwertung führen und die Beziehung auseinanderbrechen lassen. Deswegen "nötigt" der eine den anderen durch den Abwehrmechanismus der omnipotenten Kontrolle, genauso zu sein, wie er ihn braucht, und beschneidet auf diese Weise seine Freiheit und Autonomie. Dies bedeutet auch, dass er das, was an dem Partner/der Partnerin einzigartig oder anders ist, nicht zu schätzen vermag. Es überrascht nicht, dass solche Menschen, die ihren Partnern wenig Freiraum lassen, selbst am meisten Angst haben, vom anderen eingeengt oder gefangen gehalten zu werden - hier ist die projektive Identifizierung am Werk.
3. Die ideal hungrige Persönlichkeit
Die ideal hungrige Persönlichkeit sucht immer nach anderen, die sie wegen ihres Prestiges, ihrer Fähigkeiten, ihrer Macht oder Schönheit bewundern kann oder von denen sie emotionale Unterstützung und soziale Aufwertung erhalten könnte. Eine dieser Form narzisstischer Liebe ist die Idealisierung von Frauen durch narzisstische Männer, die sich in einer heftigen, wenn auch flüchtigen Verliebtheit äußert, die allerdings eine starke Anziehungskraft auf Frauen ausübt, insbesondere auf diejenigen, die ein erhebliches masochistisches Potenzial in sich tragen oder sich der eigenen Attraktivität als Frau nicht sicher sind. In einer anderen Konstellation fühlt sich die narzisstische Frau zu einem Mann hingezogen, dessen Habitus der Überlegenheit und Grandiosität ihr eigenes Bedürfnis nach narzisstischer Vervollständigung durch eine Art heterosexuellen Zwilling befriedigt. Bei narzisstischen Männern, die sich unbewusst nicht mit den beschützenden, fürsorglichen, lebensspendenden Aspekten eines Vater-Bildes identifizieren können, finden narzisstische Frauen, für die Elternfunktionen ebenfalls eine wesentliche unbewusste Gefahr bedeuten, eine beruhigende, da von Vaterattributen freie Lust auf Sexualität und erotische Anziehung. Und es gibt ...
4. Die fusionshungrige Persönlichkeit
... die fusionshungrige Persönlichkeit, die einen unbändigen Wunsch aufweist, andere zu kontrollieren, um dem eigenen Bedürfnis nach innerer Struktur Ausdruck zu verleihen. In allen Fällen "lieben" sich die Beteiligten, aber es ist eine narzisstische Liebe, denn der andere dient der Aufrechterhaltung der Selbstliebe, er wird als eigener Mensch mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen nur sehr bedingt wahrgenommen und zugelassen. Sobald der andere seine Funktion, der Aufrechterhaltung des inneren narzisstischen Gleichgewichts zu dienen, nicht mehr entspricht, verliert er seine Bedeutung und wird fallen gelassen. Charakteristisch für die narzisstische Persönlichkeit ist das Fehlen von Sehnsucht und Trauer nach dem Verlust eines Menschen - dieser hat einfach ausgedient... Was bleibt sind Wut und Hass bei dem, der die Kränkung des Verlassenwerdens erleben muss. Diese Kränkung und die damit heraufbeschworene Minderwertigkeit führen zu heftiger Scham, die wiederum nur abgewehrt werden kann, wenn der Verursacher all dessen, also der Kränkende, abgewertet und vernichtet wird.
Fall-Beispiel
Dazu ein Beispiel aus meiner Praxis: An einem Sommernachmittag arbeitete ich in meinem Garten, als plötzlich ein groß gewachsener und braun gebrannter, gut aussehender, ca. 40-jähriger Mann sich nähert, und, nachdem er sich erkundigte, ob ich die Psychotherapeutin sei, sofort anfängt: "Hören Sie, ich bin verzweifelt, ich kann nicht mehr. Sie müssen mir helfen, ich bin drauf und dran, entweder meine Frau umzubringen oder mich selbst, aber wahrscheinlich eher meine Frau. Vor einem Jahr ist sie Knall auf Fall ausgezogen, hat mir den Hund dagelassen und meine 17-jährige Tochter. Ich hab kurz darauf eine gute Bekannte, die mich schon immer wollte, ins Haus geholt. Die wohnt jetzt bei mir, aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass meine Frau vielleicht mit einem anderen genau jetzt im Bett liegt. Schon bei der Vorstellung kriege ich so Aggressionen, und ich fühle mich noch nicht mal schlecht dabei. Aber ich bin fix und fertig! Schwierigkeiten kriege ich dadurch am Arbeitsplatz. Ich muss Menschen führen und bin nicht mehr souverän. Mein Chef hat gesagt, Sie seien die Beste. Wann kann ich kommen?" Und ich sagte: "Kommen Sie übermorgen um acht Uhr, dann schauen wir mal!"
In dieser "initialen" Begegnung können wir viele für eine narzisstische Persönlichkeit typische Verhaltensweisen finden: Dieser Mann respektierte weder das geschlossene Gartentor noch den Samstagnachmittag. Die Grenzen eines anderen Menschen sind dem Narzissten, wenn er meint, diesen Menschen genau jetzt zu brauchen, völlig egal. Ja, es würde Wut und Hass hervorrufen, wenn man ihn genau auf diese Grenzen hinweisen würde, denn dies würde unerträgliche Scham auslösen angesichts der Verweigerung von Hilfe bei erlebter Bedürftigkeit und Schwäche. Genau aus diesem Grund verzichtete ich darauf, ihn auf die dreimonatige Wartezeit und den Gang über meine Sekretärin zu verweisen. Außerdem glaubte ich ihm, dass es um Leben und Tod für ihn ging. Die Freundin, die er "sich ins Haus geholt hatte", diente ihm offensichtlich nur zur Stabilisierung und zur Demonstration seiner "Unabhängigkeit" von seiner Frau. Vielleicht wollte er ihr auch rachsüchtig ihre Bedeutungslosigkeit und Austauschbarkeit zeigen. Für einen narzisstischen Menschen gilt der Grundsatz: Was ich mir erlaube, steht dir noch lange nicht zu ... quod liced jovi, non liced bovi. Den besten Psychotherapeuten für sich zu wollen, ist wahrscheinlich weitverbreitet, aber davon auszugehen, dass man sie oder ihn selbstverständlich bekommt, hat durchaus narzisstische Züge. Das Gleiche gilt natürlich auch für Therapeuten/innen, die diese "Idealisierung" freudig und als stimmig annehmen würden. Dennoch ist die Bereitschaft zur Idealisierung des zukünftigen Therapeuten eine durchaus wichtige Vorbedingung für eine Therapie und damit für den Beginn einer hilfreichen Beziehung. Im narzisstischen Bezugsrahmen nehme ich dadurch eine wichtige Funktion ein; ich diene der Stabilisierung des Selbst.
Was war geschehen?
In der Therapie stellte sich heraus, dass seine Frau ihn keineswegs plötzlich verlassen hatte, sondern schon seit Jahren ihn immer dringlicher gebeten hatte, sich ihr und der Tochter intensiver zu widmen, auch ihre Wünsche und Vorstellungen aufzugreifen und sie in seine Pläne mit einzubeziehen. Vor allem aber fürchtete sie seinen Alkoholkonsum, unter dessen Einfluss er immer wieder hoch aggressiv, rücksichtslos und verächtlich mit ihr umging. Herr M. berichtete, nicht ohne Stolz, dass das gemeinsame Haus von ihm geplant, eingerichtet und gestaltet wurde. Er habe bestimmt, wofür Geld ausgegeben wurde, er habe bestimmt, wohin man in Urlaub fuhr, er habe die Autos ausgesucht und er habe auch bestimmt, wann, wohin und wie lange er weggehen wollte.
Das Bitten und Drängen seiner Frau hatte ihn "rasend geärgert". Als sie sich einmal vor das Auto stellte, um ihn vor dem Wegfahren abzuhalten, habe er kurzfristig den Impuls gehabt, sie über den Haufen zu fahren, und Gas gegeben; sie sei gerade noch rechtzeitig beiseite gesprungen. Die Vorstellung, von ihr kontrolliert und überwacht zu werden, sei unerträglich gewesen - "Ich bin doch ein freier Mann!" Dennoch hatte er das alles nicht so dramatisch gesehen. Da er sie ja liebte, beruflich erfolgreich sei und viel Geld nach Hause brachte, sei es für ihn klar gewesen, dass sie zufrieden sein müsse. Er jedenfalls war mit ihr zufrieden gewesen. Sie sei eine sehr attraktive, eigentlich unkomplizierte Frau, sexy und gut im Bett, eine fantastische Köchin und Gastgeberin und sie habe Haus und Garten sowie einen kleinen Halbtagsjob gut gemanagt.
Erst als sie ihm sagte: "Ich glaube, ich liebe dich nicht mehr!", habe er gemerkt, dass etwas nicht stimme. Ab da hatte er um sie gekämpft - er habe Besserung gelobt, sie sei distanziert geblieben. Er habe ihr Geschenke mitgebracht, sie sei distanziert geblieben. Er habe sie beschimpft, habe ihr aufgezeigt, wie miserabel ihr Leben ohne ihn sein würde - sie sei distanziert geblieben. Schließlich war er fest davon überzeugt, dass sie einen Freund habe, und das machte ihn rasend. Als er auf einer Geschäftsreise war, sei sie Knall auf Fall ausgezogen und habe kaum etwas aus dem Haus mitgenommen. Die Tochter wollte im Haus bleiben, aber die sei zunächst für ihn auch nur eine Belastung gewesen angesichts der Fassungslosigkeit und der Wut, die er bei seiner Rückkehr und seitdem immer wieder erlebte. Innerhalb kürzester Zeit hatte er mit einem Rechtsanwalt die Aufteilung von Hab und Gut vorgenommen, seine Frau ausbezahlt und eine tiefe Befriedigung empfunden bei dem Gedanken, dass nun alles ihm gehöre. Wiederum nicht ohne Stolz erläutert er, wie er die Vermögensaufteilung zu seinen Gunsten vorangetrieben habe, denn er wolle nicht, dass sie sein Geld mit ihrem "Lover" verlebe. Dann nahm er auch wieder Kontakt auf zu Maxi, mit der er vor Jahren einmal eine Beziehung gehabt hatte (aber ohne Sex). Er habe gewusst, dass sie noch an ihm hänge und sie sei bald zu ihm ins Haus gezogen. Auch sie sei eine attraktive, allerdings auch sehr selbstbewusste Frau, was es nicht leicht mache mit ihr. Direkt lieben würde er sie nicht, aber sie sei angenehm. Außerdem hatte er begonnen, Marathon zu laufen, sei in kürzester Zeit total fit geworden, habe stark sein vorheriges Übergewicht reduziert und laufe mittlerweile bei großen Marathons in der Spitze mit. Es gäbe ihm ein fantastisches Gefühl von Freiheit und innerer Sicherheit.
Dennoch könne er nicht davon ablassen, an seine Frau zu denken und dabei immer wieder eine unglaubliche Wut, zuweilen auch regelrechten Hass auf sie zu entwickeln angesichts der Tatsache, dass sie ihn einfach verlassen und möglicherweise einen "Lover" habe. Erst durch ihr Weggehen sei ihm so richtig klar geworden, was für eine tolle Frau er da verloren habe, und er hasse sich für seine Niederlage und sie für ihre Distanz und ihren Ausstieg. Wenn er gelegentlich mit ihr telefoniere, dauere es nicht lange und aus ihm brächen alle diese Vorwürfe heraus, auch die Drohungen, sie umzubringen, was ihn hinterher selber erschrecke. "Ich muss feststellen, dass ich meine Frau unglaublich liebe. Ich hoffe, dass sie zu mir zurückkommt, aber ich weiß nicht, ob ich ihr das je vergeben kann. Manchmal denke ich, ich will nur, dass sie zurückkommt, um ihr dann zu sagen: ´So, jetzt kannst du gehen, jetzt will ich dich nicht mehr´. "Ich glaube, ich bin ganz schön krank!".
Überlegungen zur Phänomenologie dieser narzisstischen Persönlichkeit
Die Darstellung der Ereignisse durch Herrn M. weist auf ein kennzeichnendes Phänomen der narzisstischen Persönlichkeit hin (Horowitz 1996): Erinnerungen haben oft die Qualität durchdringender, aber meist übertriebener Verunglimpfungen. Eigene negative Handlungen werden häufig ausgeblendet oder beschönigt. Eigenschaften des Selbst, die als eher schlecht, schwach, eigennützig oder unangemessen erlebt werden, die also Kritik hervorrufen könnten, werden vom Handelnden selbst anderen Personen zugeschrieben. Dagegen werden manchmal gute Ideen, Handlungen oder Eigenschaften des anderen inkorporiert, als ob sie zum Selbst gehörten. Herr M. erwartete zwar immer Zuwendung von seiner Frau, schätzte sie dabei aber sehr gering. Dieses mangelnde Interesse an ihrer Person wurde irgendwann im Laufe der Beziehung von ihr bemerkt. Sie fühlte sich zunehmend benutzt, ausgebeutet und gar nicht mehr geliebt. Offensichtlich entwickelte sie eine depressive Symptomatik, bis sie den Ausstieg wollte. Als die Bindung zerstört war, musste sich Herr M. rasch darum bemühen, eine neue Beziehung zu knüpfen. Diese Frau begegnete ihm aber von Anfang an kritischer und so ließ er sich auf sie nur sehr bedingt ein. Stattdessen wurde er mehr und mehr anfällig für Scham, Panik und Depression, da das Leben nun ohne die Unterstützung weitergehen musste, welche durch die Bewunderung und Hingabe seiner Frau ihm immer gewährleistet schien. Gekoppelt mit dem Verlust der Kohäsion des Selbstkonzepts entwickelt sich nun eine zunehmende Selbstdestruktivität, aber auch Neid auf seine Frau. Wut und paranoide Tendenzen bezüglich eines anderen Mannes und übersteigerte Forderungen an sie, an welche er sich selbst in keiner Weise gebunden fühlt, runden das Bild ab.
Die selbstgerechte Wut (Kohut 1972)
Sie entspricht einem speziellen Ich-Zustand oder Ego-State. Dieser Zustand kann sich ziemlich explosiv einstellen. Auslöser für diesen Ausbruch ist meist eine Art von Kränkung, wobei sich die agierende Person trotz der damit verbundenen Gewalttätigkeit, sei sie körperlich oder verbal, völlig berechtigt dazu fühlt, wenn sie andere verletzt. Diese selbstgerechte Wut dient der Abwehr gegen ein beschädigtes, als schlecht oder unzureichend erlebtes Selbstkonzept. Dabei wird dem anderen Menschen kein menschlicher Status mehr zugeschrieben, deshalb wird dieser Zustand manchmal auch als blinder Hass bezeichnet. In dieser Verfassung erkennt Herr M. nicht, dass seine Frau das gleiche Recht hat zu existieren, auch durchaus gut und freundlich ist. Stattdessen gibt es nur eine destruktive Bereitschaft, sie zu verletzen oder zu vernichten, einfach weil sie zur "bösen Hexe" mutiert, die keine Existenzberechtigung hat, da sie ihn ja verlassen hat, obwohl er sie "liebt" und braucht.
Zur Dynamik der selbstgerechten Wut
Diese kann sich intra- oder interpersonell entfalten. Ich möchte sie mit drei sich aufeinander beziehenden Rollen beschreiben, nämlich der des Helden, des Fans und des Bösen (s. auch Horowitz 1996, S. 34). Die Aufgabe des Fans ist es, den Helden zu bewundern und den Bösen zu verabscheuen. Der Böse gilt als absolut unwert. Hier zeigt sich eine dissoziative Abwehr, die während des Zustands der "selbstgerechten Wut" den lebensunwerten Bösen zur Vernichtung freigibt, was vom Fan bewundert wird. Somit kann es keine Schuld geben, keine Furcht oder Scham wegen der Feindseligkeit, die in diesem Zustand vorherrscht. Erst später kann die betroffene Person Scham oder Reue wegen ihres Verhaltens empfinden. Fans sind im Falle von Herrn M. seine "Kumpels", die sich, ebenso wie er, geschworen haben, sich von keiner Frau klein machen zu lassen, (wie so manch andere Waschlappen!). Auch sein Vater bekommt von ihm ähnliche Züge verliehen, die Zustimmung garantieren, wenn er "seine Frau in die Schranken weist". Im väterlichen Introjekt und in Identifikation mit ihm erfolgt ebenfalls Zustimmung. Herr M., der Held, besetzt die Rolle des Selbstgerechten, der den hohen Anspruch und die Einzigartigkeit eines bestimmten Männerbildes im Zustand selbstgerechter Wut unterstreicht. Die Feindseligkeit gegenüber seiner Frau ist in diesem Zustand durchaus angenehm und positiv, weil sie mit der Erwartung von Lob und Bewunderung durch die Fans verknüpft ist. Die Größenidee des Selbst wird noch erhöht durch das Vergnügen, mit den als wichtig erlebten Fans zu verschmelzen, eine spezielle Art der Symbiose, wo idealisierte Teilaspekte kindlicher und elterlicher Ichzustände zum narzisstischen "Größen-Selbst" verschmelzen.
Eine vergleichbare Dynamik kann aber auch bei einem eher schwachen Selbst, wie es seine Frau lange Zeit aufwies und welches Parkin (1980) als "masochistische Fesselung" bezeichnet hat, auftreten. In diesem Rollenbeziehungsmodell mit einem schwachen Selbst nimmt ihr Mann die Rolle des Helden ein, während sie unterwürfig an diesen Helden gebunden ist. Als kraftvolles Duo greifen beide "den Bösen" an; lange Zeit galt dafür die Mutter des Patienten. Sie galt als übel, schlecht und kalt, habe als Mutter komplett versagt, wobei diese eigenen Eigenschaften vom Helden abgewehrt werden und der Böse - oder in diesem Fall die Böse - zum Projektionsträger alles Schlechten, zum Sündenbock wird. So kann ein schwaches Selbst durch die Idealisierung des Helden sich in der Verbindung mit ihm sicherfühlen, eigene abgewehrte und gefürchtete Aspekte auch auf den Sündenbock übertragen, bis die Missachtung durch den Helden die eigene Bedeutungslosigkeit unübersehbar macht. Die dann einsetzende Unzufriedenheit und Kritik lässt nun wiederum den Fan (seine Frau) zur Inkarnation des Bösen werden und zum Gegenstand der selbstgerechten Wut. In der Transaktionsanalyse lässt sich diese Dynamik mit dem Konzept der Spiele, verdichtet im Konzept des Dramadreiecks, sehr gut abbilden.
Emotionale Themen und Abwehrmechanismen
Narzisstische Persönlichkeiten wie Herr M. versuchen emotionale Themen, die das Selbst erniedrigen, zu vermeiden. Dagegen werden reparative Erinnerungen und Fantasien von vergangenen, gegenwärtigen oder künftigen Selbstaufwertungen selektiv mobilisiert. Hier helfen ihm seine Erfolge beim Marathonlauf sehr. Erinnerungen, die das Selbst verletzen, werden oft aufgespalten; so kann es im Verlauf der Zeit zu einem fragmentierten Gefühl der Kontinuität des Selbst kommen. Dies kann einen Teufelskreis zur Folge haben, da die Kohärenz der gesamten Selbstorganisation eingeschränkt wird. Mit anderen Worten: Gibt es zwischen Selbstbildern der Unterlegenheit, denen der Überlegenheit und, was noch wichtiger ist, realistischen kompetenten Selbstbildern einen langen zeitlichen Abstand, kann die betroffene Person einen spezifischen Mangel nicht mehr mit positiven Erinnerungen kompensieren, weil die beiden Erfahrungen einfach zu weit auseinanderliegen (Horowitz 1996, S. 36). Die Angst um die Selbstkohärenz wächst, es kann zur Dekompensation und zur narzisstischen Depression kommen. Die abwehrbedingten Hemmungen und Förderungen der gegensätzlichen Themen Minderwertigkeit und Grandiosität sind einerseits verbunden mit einer geringen Toleranz für Traurigkeit, Wut und Scham, andererseits entstehen sie erst durch diese. Wenn ein Mensch mit einer narzisstischen Persönlichkeit solche Emotionen einmal erlebt, braucht er ungewöhnlich lange Zeit, um diese zu verarbeiten, d.h., der Affekt hat eine sehr verzögerte Rückbildungszeit, wenn er einmal aktiviert ist. Verständlicherweise ist der Mensch dann sehr bestrebt, wieder in einen angenehmeren Zustand zurückzukehren und fühlt sich dazu auch um jeden Preis berechtigt. Der Missbrauch von Substanzen, Alkohol wie im Fall von Herrn M., aber auch Promiskuität wird in diesem Zusammenhang oft als Handlungsfeld gewählt, auch wenn dies sehr deutlich gegen persönliche und soziale Werte verstößt. Außereheliche Beziehungen, die Herr M. immer wieder hatte, zählen auch hierzu.
Wenn ein Narzisst nicht mehr verhindern kann Trauer zu zeigen, dann erwartet er vom anderen keine hilfreiche Reaktion. Die Sehnsucht nach Zuspruch und Trost wird wegen seines grandiosen Anspruchs auf totale Versorgung, auf völliges Verstehen, auf absolute Akzeptanz abgewehrt. Dieses Eingeständnis von Verletztheit und Abhängigkeit ist hoch schambesetzt. Wenn er Kummer erlebt, kann dies mit körperlicher Leere gekoppelt sein, die auf einem Schema des "Alleinseins ohne Hoffnung auf Trost" basiert. Eine solche Intoleranz gegenüber Traurigkeit kann bei einer narzisstisch gestörten Person entweder zu einer vollständigen Abwehr von Trauerprozessen führen oder aber zu einer hoffnungslosen Trauer, wenn jemand, der bis dahin als Erweiterung des Selbst diente, sich von ihr trennt. Diese Trauer konnte Herr M. erst im Laufe der Therapie langsam zulassen.
Als weitere Emotion wird Ärger eingesetzt. Er ist Ausdruck von Feindseligkeit und soll dazu dienen, dass die andere Person den Erwartungen entspricht bzw. dadurch in ihre Schranken verwiesen wird. Bei Neurotikern ist im Zusammenhang mit dem Thema Ärger eine Vermeidung jeglicher Gedanken an den Ausdruck dieses Affekts zu beobachten. Die antizipierten Konsequenzen bestehen darin, dass die andere Person als stark und vergeltend oder aber als schwach und durch die Feindseligkeit verletzbar fantasiert wird. Das Selbst wird dann Furcht vor Vergeltung erleben, Scham darüber, so grausam gewesen zu sein, oder Schuldgefühle empfinden angesichts der Vorstellung, dass eine andere Person verletzt sein könnte. Auf der narzisstischen Stufe ist Ärger nicht wirklich zielgerichtet oder im Selbst deutlich lokalisiert. Wut "liegt in der Luft" und jedes Objekt kann ihr Ziel werden. Dies hängt mit dem Empfinden von Selbstbeschädigung oder Schwächung zusammen und kann zu einer generalisierten Reaktion anstelle eines spezifischen Ausdrucks von Ärger führen. Das Ziel ist dann die Vernichtung des anderen. Damit liegt in dieser Wut auch eine viel größere Gefahr, besteht doch keine konkrete Vorstellung darüber, was passieren kann und welche Gegenreaktion das Ausmaß des ausgedrückten Ärgers kontrollieren könnte. In vergleichbarer Weise verhält es sich mit der Scham. Eine "normale" Person versucht, Fehlhandlungen oder ein Scheitern vor der Kritik anderer zu verbergen. Der Neurotiker sieht für andere durchaus akzeptable Handlungen aufgrund ideosynkratischer oder irrationaler Gründe als schamerweckend an. Der narzisstisch Gestörte ist dafür noch viel stärker anfällig. Das Selbst ist insgesamt schambesetzt, nicht nur eine spezifische Handlung oder ein Versagen. Die Scham ist viel umfassender und bezieht sich auch auf die Zukunft. Die unendlich große Gefahr, gegenüber der Außenwelt das Gesicht zu verlieren, macht es besonders schwer, diesen Affekt zu ertragen und führt dazu, dass die Abwehr, z.B. die Verkehrung der Scham in Ärger, viel bestimmender und pathologischer wird.
Die Unfähigkeit zu lieben
Unsere Persönlichkeit entwickelt sich in der Beziehung zu einem Du. Nur durch die vielfältigen Spiegelungen unserer Lebensäußerungen werden wir sukzessive ein kohärentes und auch stabiles Ich entwickeln. Diese Beziehungserfahrungen und die daraus resultierenden Skriptentscheidungen führen zur Bildung unseres Lebensskripts, welches auch die Grundüberzeugungen über die Liebeserfahrungen und die Fähigkeit zur Liebe enthält. "Spiegelung" bedeutet, dass ich mich im Auge des anderen, der mich ansieht und mir "mein Bild gibt", suche und finde. Dieser Spiegel im Auge des anderen, sagen wir einmal in dem der Mutter oder des Vaters, kann ein klarer, ruhiger sein, der begleitet ist von einem freundlichen Willkommen und der "neugierigen Offenheit", die mich wachsen lässt, für mich da ist und, wenn es ganz besonders gut läuft, mir gemäß meinem Potenzial die mir gemäße Gestalt zugesteht. Damit wird ein "gesunder Narzissmus", also eine Selbstakzeptanz, Selbstsicherheit und Selbstliebe aus dieser Erfahrung resultieren - eine "sichere Bindung" mit einem lebenszugewandten Beziehungsstil. Störungen entstehen durch ein "Zuviel oder Zuwenig" und vor allem durch eine unangemessene Spiegelung, die eigentlich diesen Namen nicht mehr verdient. Dieser dann dem Kind gezeigte "Spiegel" ist entweder bestimmt durch ein bereits vorhandenes Bild, eine Vorstellung der Mutter oder des Vaters, entlehnt einem anderen Schicksal. Oder es ist ein brüchiger, gesprungener Spiegel mit teilweise blinden Flecken, der Zerrbilder oder nur Fragmente des Suchenden zurückwirft. Das suchende Kind bekommt also Antworten, aber diese Antworten holen das Kind nicht dort ab, wo es ist, sondern sagen ihm, wer und wie es "eigentlich" sein sollte. Oder sie verwirren das Kind, geben ihm widersprüchliche, nichtssagende, verwerfende Antworten, die letztlich zu keinem kohärenten, erträglichen oder liebesfähigen Selbstbild führen. Im "Glanz der Augen der Eltern" wächst die Sicherheit, erwünscht und willkommen zu sein auf dieser Welt. Diese Liebe kann mit dem innersten Kern des kindlichen Wesens zu einer Einheit verschmelzen; so kann Liebe empfangen und auch gegeben werden. Wenn Kinder in diesem Bedürfnis nicht genügend befriedigt werden, können sie sich in ihre fantastische innere Welt zurückziehen, in der sie sich noch allmächtig, allwissend und grandios erleben. Sie bringen sozusagen den verletzlichen inneren Kern in Sicherheit. Dies kann sich ausdrücken in Entscheidungen wie: "Ich benötige niemanden, ich bin viel besser als die Person, von der ich Liebe zu erwarten hätte. Ich bin mein eigenes Ideal." Entwertet und zerstört wird damit derjenige, der die Ablehnung verursacht hat: "Ich hasse dich dafür, dass du mir das nicht gibst, was mir zusteht, aber ich zeige dir meine Bedürftigkeit nicht." Es kommt zu einer Idealisierung der eigenen Person, zu einem "grandiosen Selbst", um auf diese Weise Unabhängigkeit von der Bewertung durch andere herzustellen. Der andere Mensch wird nur noch nach dem Muster betrachtet: "Bist du für oder gegen mich?" Der innere Schutzraum wird zu einem Gefängnis, das nicht nur Gefühle der Leere und Langeweile mit sich bringt, sondern auch zu starken Wut- und Hassgefühlen sowie Neid führt. Ein solcher Mensch schaut voller Neid auf andere, denen es eventuell besser geht. Allein die Zufriedenheit eines anderen Menschen kann zu starken Hass- und Neidgefühlen führen, wobei solche Empfindungen aber geleugnet werden, denn neidisch zu sein bedeutet schwach zu sein, nicht perfekt, sondern klein und bedürftig. Daher können Neidgefühle nicht zugelassen werden, der innere Schmerz würde noch verstärkt. So wird stattdessen versucht, das Positive zu zerstören, indem man eine negative, aggressive Stimmung verbreitet, sich über alles Mögliche aufregt, versucht, die Laune der Mitmenschen herunterzuziehen. Man sieht andere nur negativ oder prangert ihre Fehler an, um mit den eigenen Verstimmungen nicht mehr allein zu sein. Im Fall von Herrn M. gab es in seiner Kindheit keinen "Glanz im Auge der Mutter". Seine Mutter war psychisch krank und für ihr einziges Kind nur bedingt verfügbar. Es gab Zeiten innigster Verbundenheit, aber auch immer wieder Phasen, in denen die Mutter psychisch oder körperlich abwesend war, in denen sich das Kind von ihr zurückgestoßen oder verlassen fühlte. Fast durchgängig aber erlebte er Botschaften in dem Sinne, nicht anders zu sein, als es die Mutter brauche oder wünsche. Der Vater stand als liebendes Objekt kaum zur Verfügung, er arbeitete viel und war stolz darauf. Zudem hatte er wohl ein Alkoholproblem. Seiner Frau begegnete er im Verlauf der Jahre immer verächtlicher, dem Sohn empfahl er Nietzsche: "Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht!" Angesichts dieser vielfältigen Enttäuschungen seiner Bindungs- und Beziehungswünsche entwickelte sich bei dem Heranwachsenden eine Haltung, die sich etwa so beschreiben lässt: "Von dir habe ich nichts zu erwarten und es ist auch nicht so, dass ich dich brauche. Im Gegenteil, ich meide dich besser, ich kontrolliere dich, ich benutze dich, ich schlage dich mit deinen eigenen Waffen. Ich brauche dich nicht mehr." Wir sehen hier ganz deutlich die Grundlagen für einen vermeidenden Beziehungsstil, der als Folge einer unsicheren Bindung entsteht, oft wie eine Pseudo-Autonomie anmutet und die Menschen kühl, unabhängig und unbedürftig erscheinen lässt. Die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit wird zu einem schambesetzten und höchst riskanten Lebensthema. Die eingenommene Grundposition "Ich bin okay - du bist nicht okay" wird immer bedroht durch den gefürchteten Fall in die erniedrigende Erfahrung "Ich bin nicht okay und du auch nicht". Daraus resultiert die Unfähigkeit, wirklich von einem anderen Menschen abhängig zu sein und diesem zu vertrauen, Grundbedingungen der Liebe. Im Fall von Herrn M. entwickelte sich eine narzisstische Persönlichkeit sozusagen als Abwehr gegen all die oben beschriebenen Defizite. Was er nie mehr erleben will, ist die liebende Abhängigkeit von einer unzuverlässigen, überlegenen, Ich-bezogenen Frau, denn diese repräsentiert das Bild der "bösen Mutter", das er hasst und fürchtet, denn seiner Mutter gegenüber war er klein, abhängig und hilflos. Was er sich wünscht, ist die "gute Mutter", die ihn davor bewahren soll, genau diese abgewehrten Aspekte wieder zu erleben. Das bedeutet auch, dass er seine Frau in ihrer Ganzheit und ihrer Verschiedenheit von ihm keinesfalls wahrnimmt. Sollte seine Frau aber darauf bestehen, würde er dies als feindseligen Akt erleben, als Ausdruck höchster Lieblosigkeit, sozusagen als Kriegserklärung; sie würde zum Feind. Seine Frau wiederum, aufgewachsen ohne Vater, mit einer wohl auch sehr selbstsüchtigen Mutter, die nur den Bruder liebte, die also auch narzisstisch sehr bedürftig ist, glaubt, in ihm den idealen Partner für ihre Sehnsucht gefunden zu haben. Bei dieser Sehnsucht geht es darum, in der Beziehung zu dem idealisierten Partner das Fehlen der frühen Internalisierung einer beidseits befriedigenden Beziehung zu kompensieren. Gefühle der Verlorenheit und Angst sollen abgewehrt werden. Solche Frauen zeigen rasch eine überwertige Anpassung und Unterwerfungsbereitschaft unter den idealisierten Partner, durchaus aber auch eine masochistisch-sadistische Erpressung durch Leiden in der Opferhaltung. So versuchen sie, mit dem Teufelskreis der Selbstaufgabe und der Anklammerung an das überwertige Du, die Verantwortung vor dem eigenen Leben abzuwehren. Dabei werden eigene narzisstische Wünsche auf den Partner projiziert. Wenn dieser sie auslebt, wird ihm das zum Vorwurf gemacht, und es kann zur erpresserischen Schuldgefühlerzeugung kommen, was wiederum zur Gewalteskalation führt. In solchen Situationen gibt es oft auch suizidale Fantasien, die durchaus mit einem gewissen masochistischen Triumph unterlegt sind. Die Patientin kann so in der "Liebe", wie sie sie lebt, kein stabiles Identitätsgefühl als erwachsene und liebenswerte Frau entwickeln. Zudem müssen natürlich auch bei ihr andrängende aggressive Impulse abgewehrt werden, ebenso wie die Bedürfnisse, sich selbst Raum zu nehmen und Bedeutung einzufordern, aus Angst vor der Gewalt oder vor dem Verlust des anderen. Hieraus entwickeln sich sehr oft eine depressive Symptomatik oder Angst- und Panikanfälle, was bei Frau M. anscheinend dazu führte, sich von ihrem Mann zu trennen.
Narzissmus, sexuelle Erregung und erotisches Begehren
Erotisches Begehren entsteht dann, wenn sich die sexuelle Erregung auf einen ganz bestimmten Menschen ausrichtet. Ohne die Ausrichtung auf einen anderen Menschen richtet sich die sexuelle Erregung auf ein "Teilobjekt" (z.B. Fetisch, Busen, Haare etc.), das unbewusst die Verschmelzungserfahrungen der Symbiose und die Vereinigungswünsche der frühen Loslösungs- und Individuationsphase, die ja bei der narzisstischen Störung nicht gelungen ist, widerspiegelt (Mahler, Pine & Bergmann 1978). Das wiederum kann bedeuten, dass der Mensch mit einer narzisstischen Störung unfähig zu erotischem Begehren ist, während die Äußerungen sexueller Erregung diffus, willkürlich und nach Zufallsmuster erfolgen und mit einer fortwährenden Unzufriedenheit und einem Gefühl der Leere und Bindungslosigkeit einhergehen. Andererseits kann dieser Mensch auch in hohem Maß erotisch begehren, erlebt aber keine sexuelle Erregung. Wie kann es dazu kommen? Reife sexuelle Liebe weitet das erotische Begehren in eine Beziehung zu einem bestimmten Menschen aus, die nicht nur unbewusste Beziehungen aus der Vergangenheit und bewusste Vorstellungen von einem künftigen Leben als Paar wachruft, sondern auch ein "gemeinsames Ich-Ideal" aktiviert. Zur reifen sexuellen Liebe gehört, dass man in den Bereichen seiner Sexualität, seiner Gefühle und seiner Wertmaßstäbe eine Verpflichtung und Bindung eingeht (Kernberg 1998). Damit diese "reife Liebesbeziehung" entstehen kann, müssen die guten libidinös besetzten Beziehungserfahrungen des Kindes ebenso wie die negativen oder aversiven integriert werden. Wenn diese Integration nicht gelingt, bleibt es bei der Spaltung in die "nur guten und nur schlechten Bilder" (Mahler, Pine & Bergmann 1978, S. 57). Wird z.B. die Aggression abgespalten, bedeutet dies eine Hemmung des sexuellen Begehrens, denn im lustvollen Penetrieren und Penetriert-Werden steckt aggressives Potenzial, das im Dienste der Liebe steht und einen notwendigen Beitrag zu einer befriedigenden Verschmelzung mit dem anderen in der sexuellen Erregung und im Orgasmus liefert. Dazu muss mit Nachdruck eine Schranke überschritten werden und dazu gehört die Aggression. Ein Merkmal des erotischen Begehrens ist, dass man sich mit der sexuellen Erregung und dem Orgasmus des Partners identifiziert und so zwei komplementäre Verschmelzungserfahrungen erlebt. Das primäre Element dabei ist die Lust, die man aus dem Begehren des anderen zieht: dass das Selbst Ziel sexuellen Begehrens ist und die damit verbundene Verschmelzungserfahrung in der Ekstase. Ein weiteres Merkmal des erotischen Begehrens ist ein Empfinden der Überschreitung, der Überwindung des Verbotes, mit dem alle sexuellen Begegnungen behaftet sind und das sich aus der ödipalen Strukturierung des Sexuallebens herleitet (Kernberg 1998, S. 46) Die konventionelle Moral unterdrückt oder reglementiert i. d. R. diejenigen Aspekte sexueller Begegnungen, die am direktesten mit infantilen, polymorphen sexuellen Zielen zusammenhängen, was wir üblicherweise mit Perversion bezeichnen. Und eben diese Ziele, die in den sexuellen Perversionen prototypische Gestalten annehmen, bringen sexuelle Erregung und erotische Intimität sowie die Überschreitungen sozialer Konventionen am direktesten zum Ausdruck. Erotisches Begehren schließt ein Empfinden ein, dass das "Objekt" sich sowohl anbietet als auch verweigert und dass sexuelle Penetration oder Überwältigung des Objekts eine Verletzung der Grenzen des anderen bedeutet - wobei dies sicherlich in erster Linie die männliche Seite betrifft. In diesem Sinn gehört zur Überschreitung auch Aggression, die in ihrer lustvollen Befriedigung erregend ist und in der die Fähigkeit mitschwingt, Lust im Schmerz zu erleben, sowie die Projektion dieser Fähigkeit auf den anderen (Kernberg 1998, S. 47). Die Aggression ist lustvoll, weil sie in einer liebevollen Beziehung aufgefangen ist. Wir haben hier also die Inkorporation von Aggression in die Liebe vor uns und den Versuch, sich angesichts unvermeidlicher Ambivalenz zu vergewissern, dass man "in Sicherheit" ist. Leidenschaftliche Liebesbeziehungen tragen diese Merkmale in sich. Und zu einem letzten Aspekt des erotischen Begehrens: Um die leidenschaftliche Liebe aufrechtzuerhalten, bedarf es immer wieder auch einer gewissen Diskontinuität, d.h., die Partner müssen auch immer wieder voneinander abrücken, was ein wichtiges Gegengewicht zur Intimität und den Verschmelzungsaspekten von erotischem Begehren bedeutet. Wenn diese Diskontinuität verloren geht und die sexuelle Beziehung eins wird mit dem Alltagsleben oder es ersetzt, kann es durchaus zu einer Anhäufung aggressiver Elemente von Verschmelzungserfahrungen kommen, die am Ende die gesamte Beziehung bedroht. Der japanische Film Im Reich der Sinne von Nagisa Oshima (1976) zeigt, wie die Beziehung zweier Liebender nach und nach in ungezügelte Aggression entgleist. Die gemeinsame Sexualität beginnt alles andere zu verzehren, sodass sie den Kontakt mit der Außenwelt abbrechen. Kernberg (1998) schreibt, dass im erotischen Begehren und in der reifen sexuellen Liebe sämtliche Aspekte der gewöhnlichen Ambivalenz intimer Partnerbeziehungen Aufnahme und Ausdruck finden. Diese Ambivalenz trete in der Intensität von liebevollen, zärtlichen und insbesondere sadomasochistischen Aspekten der sexuellen Beziehung zutage und sei für den Zusammenhalt von Liebesbeziehungen grundlegend. Weiter schreibt er, dass bei Männern die Kontinuität zwischen der Beziehung zur Mutter und den Beziehungen zu späteren weiblichen "Objekten" dazu führt, dass sowohl präödipale (u.a. symbiotische Beziehungen) als auch ödipale Konflikte (Rivalität mit dem Vater, dem rivalisierenden anderen) mit der Mutter potenziell weiterbestehen. Infolgedessen dürften sie größere Schwierigkeiten haben, mit Ambivalenz gegenüber Frauen umzugehen, und die Fähigkeit, ihre genitalen mit ihren zärtlichen Bedürfnissen zu integrieren, dürfte sich langsamer entwickeln als bei Frauen. Im Gegensatz dazu entwickeln Frauen ihre Fähigkeit zu einer umfassenden genitalen Beziehung oft erst aus ihrer schon zuvor entfalteten Fähigkeit heraus, eine tief gehende Liebesbeziehung zu einem Mann aufzubauen. Kurz gesagt: "Männer und Frauen entwickeln die Fähigkeit zum vollen Genuss von Sexualität und die Fähigkeit zu einer tief gehenden Beziehung in umgekehrter Reihenfolge" (Kernberg 1998, S. 56). Herr M. kann seine Frau sexuell lieben, aber er kann keine Zärtlichkeit mit ihr erleben. Zärtlichkeit ist ein Ausdruck prägenitaler Bedürfnisse, die unbewusst mit der kalten, unzuverlässigen Mutter assoziiert werden, und diese wird als bedrohlich, destabilisierend, potenziell beschämend und frustrierend für das eigene Selbst fantasiert. Deswegen kann sie nicht geliebt werden und auch die Frau nicht, auf die das Bild der Mutter geworfen wird. Im Gegenteil - sie muss in vielerlei Formen kontrolliert werden. Andere prägenitale Bedürfnisse: Narzisstische Bestätigung und Versorgung sollen selbstverständlich sein, sie sollen auch selbstverständlich das Risiko jedweder beschämenden Erfahrung ausschließen und das wiederum bedeutet in diesem Fall, dass seine Frau genauso sein soll, wie er sie braucht. Hier kommen Botschaften zum Tragen, wie: "Fühle nicht, was du fühlst, sondern was ich fühle" oder: "Denke nicht, was du denkst, denke, was ich denke". Darunter liegt der heimlich Kontrakt: "Wenn du mich liebst, dann nährst du mich in meinen Bedürfnissen und mutest mir niemals und keinesfalls den beschämenden Blick auf meine eigene, unbedeutende Kleinheit oder Abhängigkeit zu." Die sexuelle Begegnung kann durchaus sehr intensiv und intim anmuten, erfordert aber letztendlich, dass seine Frau dem erwünschten Idealbild entspricht, so wie der Narzisst selbst ja auch dem zu entsprechen versucht. In der Ehe von Herrn M. gab es wohl durchaus ein weites Feld von liebevoll spielerischen sexuellen Begegnungen, aber Herr M. berichtet in der Therapie auch immer wieder, zuweilen sich dabei ertappt zu haben, abwertend über sein erotisches Erleben und sein sexuelles Sehnen und Begehren nachgedacht zu haben. Er habe oft gedacht, es sei ihm ein Leichtes, darauf zu verzichten. Es sei sowieso immer nur ein und dasselbe und seine Frau solle bloß nicht meinen, dass er da von ihr abhängig sei. Gelegentliche Affären, die er hatte, sind in diesem Sinne auch zu verstehen als eine Vermeidung und Entwertung der Liebe zu seiner Frau, die damit austauschbar wird. Also auch in der Liebesbeziehung führt der narzisstische Partner nach wie vor ein Leben in einer gewissen Isolation.
Er fürchtet die vertrauensvolle Abhängigkeit vom anderen, weil sie bedeuten würde, Dankbarkeit für die Liebe und Abhängigkeit einzugestehen. An die Stelle vertrauensvoller Abhängigkeit tritt eine selbstgerechte Ansprüchlichkeit oder - wenn die Ansprüche nicht erfüllt werden - schwere Frustration. Herr M. versuchte zunächst, unvereinbare Erfahrungen mit seiner zunehmend unzufriedenen Frau abzuspalten und den Frieden auf Kosten einer Fragmentierung der Beziehung zu wahren. Er leugnete einfach die Problematik auf hohem Niveau. Dennoch stellte sich langsam das bedrückende Gefühl ein, eingesperrt zu sein und vom anderen schikaniert zu werden. Da diese Gefühle unerträglich sind, werden sie auf die Partnerin projiziert, um das eigene ideale Selbstbild zu schützen. So trieb er seine Frau unbewusst dazu, sich immer mehr wie eine überkritische Mutter zu verhalten, gegen die er sich dann mit dem Gefühl völliger Legitimität zur Wehr setzen konnte. "Der springende Punkt bei Narzissten scheint nicht der zu sein, dass sie nur sich selbst und niemanden sonst lieben, sondern dass sie sich selbst so dürftig lieben, wie sie andere lieben." (Van der Waals 1965). Ich möchte schließen mit einem Zitat des mexikanischen Dichters Octavio Paz (1974): "Die Liebe ist der Schnittpunkt von Begehren und Realität. Liebe enthüllt dem Begehren die Realität und stellt den Übergang vom erotischen Objekt zum geliebten Menschen her. Diese Enthüllung ist fast immer schmerzlich, weil der geliebte Mensch sich zugleich als ein Körper zeigt, der penetriert werden kann, und als ein undurchdringliches Bewusstsein. Liebe ist die Enthüllung der Freiheit des anderen. Das widersprüchliche Wesen der Liebe besteht darin, dass das Begehren nach Erfüllung durch die Zerstörung des begehrten Objekts strebt, während die Liebe entdeckt, dass dieses Objekt unzerstörbar und nicht austauschbar ist" (in Kernberg 1998, S. 73).
Zusammenfassung
Die narzisstische Persönlichkeit ist übermäßig mit ihrem eigenen Selbst beschäftigt. In der Partnerschaft soll der/die andere der Aufrechterhaltung und Stabilisierung des fragilen Selbstwertgefühls dienen. Verschiedene Formen narzisstischer "Liebes-Beziehungen" und Überlegungen bezüglich der "Unfähigkeit zu lieben" werden beschrieben und anhand eines Fallbeispieles erläutert.
The narcissistic personality is excessively occupied with its own self. Narcissistic relationships are characterized by one partner using the other to maintain and stabilize their fragile self-esteem. Various forms of narcissistic "love affairs" and reflections on the "inability to love" are described and explained with the help of a case study.
Literatur
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ZTA 2-3/2008
FOCUS. Zeitung für Transaktionsanalyse (ZTA).